Karabiner an Felswand

Extrovertiert oder introvertiert? Liebst Du das Risiko oder sicherst Du Dich ab? 

Es gibt die scheinbar geborenen Draufgänger, die alles auf eine Karte setzen und ihrem Glück und Können vertrauen. Und es gibt diejenigen, denen der sprichwörtliche Spatz in der Hand statt der Taube auf dem Dach völlig ausreicht. Sie agieren eher überlegt und berechnen alle Eventualitäten mit ein. Wie Menschen Situationen bewerten und sich verhalten, unterscheidet sich deutlich. 

Die Frage, ob wir den eher risikoreichen oder den sicheren Weg wählen, ist unser ständiger Begleiter. Wir wägen ab, wie hoch der Preis der einen oder der anderen Alternative ist. Wesentlich ist sicher die Anzahl der unbekannten Variablen. Auch die Bewertung, wieviel Kontrolle und bestimmbaren Einfluss wir hinsichtlich unbekannter Fragen und möglicher Probleme haben, entscheidet mit. 

Wie erklärt sich der Unterschied in der Sicherheits- und Risikoorientierung?

1. Neurobiologische Unterschiede

Entwicklungspsychologen untersuchen seit Jahrzehnten das menschliche Gehirn, um neurobiologische Erklärungsmodelle für unterschiedlich gezeigtes Verhalten zu finden. Dazu gehören natürlich auch eher intro- beziehungsweise extrovertierte Personen. 

Ein erster nachmessbarer Unterschied ist die Aktivierung des neuronalen Gefühlszentrums. 

Introvertierte haben ein empfindliches Angstzentrum. 

Das führt dazu, dass sie überdurchschnittlich wachsam sind und tatsächlich auch weniger Unfälle haben. Extrovertierte hingegen reagieren stärker auf die Aussicht einer Belohnung und Abwechslung. 

Des Weiteren unterscheidet sich die Konzentration verschiedener Botenstoffe, sogenannter Neurotransmitter. 

Bei Introvertierten ist der Pegel des Neurotransmitters Acetylcholin höher ausgeprägt. 

Dieser Botenstoff ist zuständig für die Konzentration, das Gedächtnis und das Abwägen von verschiedenen Optionen. Das erklärt vermutlich auch, warum Introvertierte nicht so leicht in spontane Euphorie geraten. 

Extrovertierte haben im Vergleich zu Introvertierten einen höheren Pegel des Neurotransmitters Dopamin im Gehirn. Dieser Botenstoff fördert Bewegung, die Suche nach Abwechslung und das Streben nach Belohnung. Um die ersehnte Abwechslung oder Belohnung zu erreichen, müssen sie größere Herausforderungen annehmen oder zuweilen Risiken eingehen. Diese können auch ihren eigenen Besitz und möglicherweise ihre Beziehungen, die ihnen eigentlich viel wert sind, in Gefahr bringen. 

2. Individuelle Bedürfnisse

Unser individuelles Bedürfnis nach Sicherheit bestimmt, wie risikobereit wir das Verhalten anderer wahrnehmen.

Introvertierte sind meist vorsichtiger und haben oft ein stärkeres Bedürfnis nach Sicherheit als Extrovertierte. 

Sie werten die Fakten in der Tiefe aus und denken oft länger nach. Dabei betrachten sie mehrere Perspektiven und holen bei Bedarf die Meinung von Experten ein. Dieser Prozess der umfassenden Betrachtung komplexer Zusammenhänge brillanter Ideen oder Projekte beansprucht oft gut investierte Zeit. 

Risikobereite Menschen benötigen eine weniger ausführliche Recherche. Aus ihrer Sicht werden Projekte nur verzögert umgesetzt oder gar ganz vergessen, weil immer wieder Bedenken entstehen. 

3. Belohnungssensitivität

Die Belohnungssensitivität drückt aus, wie stark Du auf eine in Aussicht stehende Belohnung reagierst. Gibt es beispielsweise die Aussicht auf eine Gehaltserhöhung oder einen besseren Titel, agieren Menschen mit hoher Belohnungssensitivität hoch motiviert. 

Extrovertierte sind für sich bietende Belohnungen sensitiver.

Eine wichtige Rolle spielt der persönliche Grundpegel von Dopamin. Dieser Botenstoff wird zusätzlich ausgeschüttet, wenn Du ein attraktives Ziel erreichst oder Du einen Erfolg feierst. Dann fühlst Du Dich froh, begeistert bis euphorisch. Positive Gefühle, die wir alle mögen. 

Extrovertierte haben gegenüber Introvertierten meist einen höheren Grundpegel von Dopamin. 

Bleiben die positiven Anreize aus, können sich Langeweile und Überdruss einstellen. Die Höhe des persönlichen Grundpegels von Dopamin ist dann zu niedrig. Ergeben sich nun Gelegenheiten, die positive Gefühle versprechen, werden eher höhere Risiken eingegangen. Dies gilt insbesondere für die Aussicht auf Belohnung in Form von sozialem Status, Geld und Einfluss. 

Überschwang im Verhalten bis hin zur Blindheit gegenüber Gefahren und Selbstüberschätzung können die Folge sein. So kann eine hohe Belohnungssensitivität bis in den eigenen, ja unternehmensweiten wirtschaftlichen Ruin führen. 

Wie gehen wir mit diesem Wissen um?

Zunächst wäre es hilfreich, dass jede:r weiß, wie stark sicherheits- und risikoorientiert sie oder er selbst ist. Die Einordnung der persönlichen Sensibilität gibt eine Hilfestellung, für die jeweils potentiellen Nachteile. 

Wenn Du als Introvertierte:r beispielsweise weißt, dass Dein Sicherheitsbedürfnis hoch ist, kannst Du mit Frotzeleien gelassener umgehen. Wenn Du eine weitere Frage in einem Konzeptentwurf detailliert nach prüfen möchtest, dann ist das gut so. Umgekehrt, weißt Du aber auch, dass Du Dich manchmal selbst in den sprichwörtlichen Hintern treten solltest, um aus den Gedankenschleifen raus in die Umsetzung zu kommen. 

In Unternehmen ist die Ausgewogenheit zwischen sicherheits- und risikoorientierten Teammitgliedern für das wirtschaftliche Endergebnis bedeutsam. 

Introvertierte tauchen meist in tiefe und komplexe Analysen ein und finden entscheidende Fakten und Fragestellungen. Um die Prozesse abzuschließen und unter Umständen auch zu beschleunigen, kann ein risikoorientierter Extrovertierter hilfreich sein. 

Entscheidend ist der gegenseitige Respekt und die Wertschätzung für die jeweils positiven Seiten der Sicherheits- und Risikoorientierung

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